Der Leselernprozess

Leselernprozess: . . . Wahrnehmung . . . Buchstaben . . . Leselernstufen

Dr. Rudolf Härtel (Sankt Michaelsbund BA)

Dr. Rudolf Härtel (Sankt Michaelsbund BA)

Lesen lernen und somit die Entwicklung und Förderung der Lesefreude und Lesekompetenz sind die Voraussetzungen für Bildung. Daher ist es eine der wichtigsten Aufgaben der Schule sowohl die Grundrechenarten als auch Lesen und Schreiben beizubringen. Hierfür gibt es verschiedene Leselernmethoden.

Wie erfolgt nun der Leselernprozess?
Was ist dabei zu beachten?

Der Weg zum flüssigen Lesen

Die Bedeutung des Lesen Lernens
Die Stärkung der Lesekompetenz aller Kinder liegt mir am Herzen. Wer gut lesen kann und Texte versteht und richtig nutzt, sprich Sinn erfassend lesen kann, wird nicht nur im Unterrichtsfach Deutsch gut vorankommen, sondern auch in fast allen anderen Unterrichtsfächern ist Lesen können zwingend erforderlich.
Eine wichtige Bedeutung zur Förderung der Lesekompetenz ist nicht nur, dass wir den Kindern das lesen lassen, was sie interessiert, sondern dass das Niveau der Texte auf dem Können der Kinder angepasst ist.

Zeichen erkennen können
Zum Lesen lernen gehört nicht nur das Lesen von Buchstaben, sondern auch das Verstehen von Bildern und Signalen. Die Kinder lernen in ihrer Umwelt Zeichen kennen, die ihnen etwas sagen.
Der Leselernprozess gliedert sich in die folgenden Stufen:
– Situationslesen (die Mutter deckt den Tisch -> bald gibt es etwas zu essen)
– Bilderlesen (Fotos, Zeichnungen)
– Bildzeichenlesen (Verkehrszeichen, Toilettenzeichen)
– Signalwortlesen (Namensschilder, Firmenlogos)
– Ganzworterkennen (Namen, Mama, Papa, Lebensmittel)
– Schriftlesen (alphabetische Prinzip)
– Ganzwortlesen (häufiger bekannter Wörter)

Der Leselernprozess muss auf jeder Stufe als eigenständig gesehen werden, da zum Lesen lernen das Beherrschen der einzelnen Stufen Voraussetzung sind.

Gemeinsamkeiten vom Schreiben und Lesen lernen
An Anfang unterscheiden sich der Leselernprozess vom Schreiblernprozess nur wenig. In beiden Fällen muss man die Grundlage (Buchstaben) lernen. Hier ein vereinfachtes Modell:
1. Logographische Phase
Wiedererkennen von Zeichen und Schriftzügen
2. Alphabetische Phase (umgekehrte Zuordnung)
Schreiblernprozess: Zuordnung von Lauten zu Buchstaben
Leselernprozess: Zuordnung von Buchstaben zu Lauten
3. Unterschiedliche Phasen beim Schreiben und Lesen lernen
Schreiblernprozess: Orthographische Phase
Leselernprozess: Textverständnis (Phase 3-5, siehe unten)

Was ist Lesen?
Lesen ist ein Prozess, schriftliche Informationen aufzunehmen und zu verstehen.
Wie funktioniert Lesen?
Schriftliche Informationen können wir nur verstehen, wenn uns die Schrift(zeichen) bekannt ist/sind.
Die Kenntnis der Zeichen allein genügt nicht, der Leser muss sich auch an die vereinbarte Schriftrichtung halten.
Lesen ist mehr als das Entschlüsseln von Zeichen, mehr als Aneinanderreihen von Buchstaben in der richtigen Reihenfolge. Es muss auch die Bedeutung der Wörter klar sein. Erst durch das Verstehen wird lesen zum Lesen.
Lesen bedeutet nicht nur, schriftliche Zeichen wahrzunehmen und Lauten zuzuordnen, Synthese durchzuführen und Sinn zu entnehmen. Beim Lesen werden Hypothesen gebildet, getestet und korrigiert.

Was verlangt der Lehrplan?
Während die Zielsetzung des Leseunterrichtes klar vorgegeben ist, gibt es verschiedene Auffassungen drüber, wie das Ziel des flüssig lesen Könnens zu erreichen ist.
Dieses WIE ist die jeweilige Leselernmethode. Alle Unterrichtsmethoden haben das Ziel, das Lesen lernen zu erleichtern.

Wie erfolgt das Lesen lernen?
Zum Lesen lernen gehören 5 Stufen – beginnend bei der Lesebasis bis hin zur Lesereflexion. Jede einzelne Stufe muss beherrscht werden, bevor die nächste Stufe erklommen werden kann. Rückt ein Kind eine Stufe weiter, bevor diese Stufe gut abgesichert ist, oder überspringt es gar eine Stufe, dann treten die Leseprobleme mit den typischen Symptomen von Leseschwäche auf. Kinder, die davon betroffen sind, kann man nur helfen, wenn sie zurück auf die vorangegangene Stufe gehen und diese ordentlich lernen.

Die einzelnen Stufen des Leselernprozesses

1. Lese-Basis: Hören + Sehen + Fühlen
Hier werden die notwendigen Fertigkeiten fürs Lesen erworben. Das sind einerseits die visuelle Wahrnehmung und die phonetische Bewusstheit, d.h. das Kind muss Laute erkennen und differenzieren können.
Dies können Kinder im Vorschulalter erlernen (z.B. Figuren unterscheiden, Silben klatschen, Reimwörter finden, Großbuchstaben erkennen und was fängt alles mit dem gleichen Buchstaben an?).
Oft lernen Kinder in jetzt auch das Verständnis für Zeichen (Buchstaben und Zahlen).
Wahrnehmung/Logographische Phase:
Visuell: Handzeichen, Formen/Buchstaben, Mengen zählen, Logos/Zahlen
Akustisch: Geräusche, Tierstimmen, Wörter/Laute, Silben/Reime
Raumlage: oben/unten, vorne/hinten, rechts/links
Serialität: Reihenfolgen (zeitlich/der Größe nach), Mengenerfassung
Haben Kinder die Lese-Basis in der Vorschulzeit nicht erlernt, fällt es ihnen in der Schule schwer zu folgen, denn im Unterricht wird Stufe 1, gleichzeitig mit den Lesetechniken erarbeitet, was für echte Leseanfänger oft noch zu viel ist.
Alphabetische Phase:
Buchstaben lernen: Vokale, selbstklingende Konsonanten, Plosivlaute
Buchstabe-Laut-Beziehung
2. Lese-Techniken : Laut + Buchstabe = Wort
Das Zusammenschleifen der einzelnen Buchstaben zu einem Wort und die anschließende Worterkennung kann nur erfolgen, wenn die Lese-Basis beherrscht wird. Erst jetzt können Kinder das Verständnis für die Schrift (Laut-Buchstaben-Beziehung) lernen.
Zusammenschleifen lernen: erst Bilder, dann Buchstaben
Erstes Leseverstehen: Silbe->Wort, einfache Worte (Rücksprünge vermeiden)
3. Lese-Sicherheit: Vom Wort zum Text/Satz
Die Schüler vertiefen in dieser Stufe das Lesen. Jetzt benötigen sie Texte, die sie verstehen und die ihnen Spaß machen, denn Lesen lernt man nur durchs Lesen. Aber was nutzten immer kürzere Texte, wenn sie nicht einfacher geschrieben sind? Das zuordnen können von Buchstaben zu Lauten, ist nicht gleichzusetzen mit dem Erkennen von Buchstabenkombinationen (ie, ei, ch, sch, …) und deren Aussprache. Nur wer versteht, was er liest, liest mehr!
Lese-Sicherheit: Wort-> Satz, Satz->Text, Worterfassung
Buchstabenverbindungen->Laut (Diphtonge, Konsonantenkluster, Dehnungen, Umlaute)
4. Lese-Verständnis: Texte machen Sinn
Wenn sich Kinder bis zu dieser Stufe vorgearbeitet haben, ohne dass sie vorher verstanden haben, was sie gelesen haben – mein Respekt! Viele Kinder bleiben aber auf der Strecke, wenn ihnen in der 3. Stufe zu schwere Texte angeboten wurden.
Leseverständnis: Kind beantwortet Fragen zum gelesenen Text
Textverständnis: Zusammenfassung des gelesenen Textes
5. Lese-Reflektion: Text und Kontext
In dieser Stufe können Schüler Inhalt zusammenfassen und Informationen aus dem Text ziehen. Jetzt entwickelt sich die Lesekompetenz. Die Schüler beginnen sich mit Freunden über gelesene Bücher zu unterhalten.
Textzusammenhänge erkennen (Verständnisfragen/Nachdenkfragen)
Lese-Ausdauer: Texte werden länger
Lesen-Können: Texte werden komplexer

Das Lesen lernen ist ein vielschichtiges Thema. Eine gezielte Leseförderung bedarf aller Stufen des Leselernprozesses. Hierzu ein kurzer Überblick:

1.) Für die Wahrnehmungsförderung wird in der Kindergartenarbeit immer mehr getan.
2.) Die Unterrichtskonzepte für den ersten Umgang mit Buchstaben werden immer besser.
3.) Flüssig lesen lernen, s.u.
4.) Das Textverständnis von immer längeren Texten wird geübt.
5.) Das Textverständnis von immer komplexeren Texten wird geübt.

Für 3.) gibt es zu wenig einfache Texte zum flüssig Lesen lernen. Kürzere Texte, bzw. Texte in großer Schrift reichen zum Erlernen der Schriftsprache nicht aus. Eine Fremdsprache versteht man auch nicht deshalb besser, indem sie lauter gesprochen wird. Wenn vorangegangene Stufen nicht gefestigt sind kommt es zu Problemen in Stufe 4.) und 5.).

Aus diesem Grund habe ich für meine Kinder ein neues Konzept zur Leseförderung entwickelt, das aus einfach zu lesenden Geschichten besteht:

zu 2.) Vorstufe: Wiederholung der Buchstaben (erst Vokale und stimmhafte Konsonanten, später Plosivlaute und seltenere Buchstaben).
zu 3.) Stufe A: lautgetreue Texte, nur aus buchstabengetreuen Wörtern.
zu 3.) Stufe B: Stolpersteine wie „ei“, „eu“, „ch“, „sch“, „st-/sp-“ werden gezielt eingeübt, z.B. anhand von Funktionswörtern wie (ich, ihm, die, …)
zu 3.) Stufe C: Ab jetzt können alle Erstlesetexte gelesen werden.

-> Die neuen Stufen des Leselernprozesses im Vergleich

Vergleiche mit dem Leselernprozess
Der Erwerb der Lesefertigkeit kann man mit dem Erwerb der Fertigkeit des Fahrradfahrens vergleichen. Zuerst lernt das Kind krabbeln, dann gehen, rennen und Gleichgewicht halten. Sprich, es benötigt viele Fertigkeiten, bevor es mit dem Fahrradfahren beginnen kann. Und was nutzt ein Fahrrad, wenn man nicht weiß, wie man damit fährt?
Auch beginnt kein Kind mit einem Rennrad, sondern startet mit Dreirad, Laufrad, Kinderrad, Jugendrad, dann folgt evtl. das Rennrad.
Ähnlich funktioniert es mit dem Schreiben und Lesen lernen. Zuerst erlernt das Kind die Sprache, dann einzelne Laute herauszuhören. Jetzt werden einzelne Laute niedergeschrieben oder einzelne Buchstaben erkannt. Bis zum flüssigen Lesen ist es noch ein weiter Weg.

Auch in der Musik beginnt man mit den einzelnen Grundtönen, bevor # und b-Vorzeichen eingeführt werden. Kein Musiklehrer käme auf die Idee, gleich zu Beginn, kaum dass die Grundtöne eingeführt sind einen Sonderdruck der Partitur der Zauberflöte (nur 5 Takte pro Seite), seinem Musikschüler anzubieten. Kinder die gerade das Lesen lernen sollen aber sofort die Komplexität der deutschen Schriftsprache beherrschen.

Lesegeschwindigkeit (Rücksprünge vermeiden)
Informationen, die man in sehr kurzen Zeitintervallen empfängt, werden vom Gehirn zusammengefasst; alle paar Sekunden öffnet es ein neues „Zeitfenster“ für die Informationsverarbeitung: z.B. die Bilder in einem Film scheinen sich zu bewegen. Die Einzelbilder werden zu einem großen Ganzen zusammengefügt.

Ähnlich funktioniert es beim Lesen, daher ist eine bestimmte Lesegeschwindigkeit notwendig, um die aufgenommenen Buchstaben/Wörter und deren Inhalt zu verstehen. Rücksprünge verlangsamen jedoch den Leselernprozess. Sie werden durch fehlende Buchstaben- und Wortkenntnis (was zu fehlendem Textverständnis führt) hervorgerufen. Hier ein Klassiker als Beispiel, wie Schüler am Anfang lesen: D D-r Dr-e Dre-i -> Dr-Ei Drei k k-l kle-i -> kl-Ei klei klei-n klein-e S-c Sc-H -> Sch Sch-w Schw-e Schwe-i -> Sch-w-ei Schwei Schwei-n Schwein-c Schweinc-H -> Schwein-ch Schweinch Schweinch-e Schweinchen. Wie fing der Satz an? Im Original heißt diese Geschichte für Leseanfänger: Three little pigs. Hier gibt es keine Buchstabenkombinationen, die zu Rücksprüngen führen, wobei in „Schweinchen“ gleich 3 davon vorkommen. Warum wird das Wort nicht mit Ferkel übersetzt???

Einfache Schriftsprache für Leseanfänger
Zum Lesen lernen gehören Leseschwierigkeiten, aber muss man es den Anfängern unnötig schwer machen? Der deutsche Wortschatz ist groß genug um den Kindern am Anfang Geschichten nur mit lautgetreuen Wörtern, die buchstabengetreu ausgesprochen werden anzubieten. Aus diesem Grund wurde die folgende Lesereihe entwickelt:

SELBER LESEN:
Die Reihe zum Lesen lernen
Geschichten und Texte von Birgit Sommer

Lesestufe A und neu Lesestufe B
LesestufeA9783933651341.jpgselber_lesen_neues_gross

->Leseprobe und Buchdaten

Alle fünf Bücher
im günstigen DinA5 Heftformat.
-> Tipp für Büchereien

Mit Moro lesen lernen
Leichter flüssig lesen lernen

9783861961710
Mit Großbuchstaben und in Fibelschrift
Geschichten mit Verständnisfragen
Viele Leselernübungen
Auch für leseschwache Kinder

Jetzt neu:
Buchstabenkarten-> Lautkarten oder Lauttabelle
Das bereits in der Sprachheilpädagogik bewährte Konzept der einzelnen Laute für die Buchstaben, gibt es jetzt für das ganze Alphabet zzgl. Sonderlaute eine komplette Lauttabelle.
-> Während der Einführungsphase nur hier erhältlich.

Voraussetzung für ein gelungenes Buch zum Lesen lernen:

1. Graphische Gestaltung
– Fibelschrift
– Flattersatz anstelle von Blocksatz
– Zeilenabstand
– Kurze Wörter / Sätze / Absätze
– Sinnabschnitte entsprechen Zeilen/Absätzen/Seiten
2. Sprachliche Gestaltung
– gebräuchliche Wörter / anfänglich auch lautgetreu Wörter
– überwiegend kurze Wörter (Wortlänge von 5 Buchstaben +/-2)
– überwiegend kurze Sätze (Satzlänge von 7 Wörtern +/-2)
– einfacher Satzaufbau, keine Nebensätze, keine indirekte Rede
3. Inhaltliche Gestaltung
– logischer Textaufbau
– motivierendes Thema
– Illustrationen (die das Interesse wecken) und zur Veranschaulichung, aber nicht zu viel über den Inhalt verraten (Lesebuch ist kein Bilderbuch!)
4. Umgang mit dem Inhalt
– Überschriften beachten
– Sich das Gelesene bildlich vorstellen
– Wichtiges unterstreichen und zusammenfassen
– Textverständnis überprüfen

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Schneller und leichter flüssig lesen lernen

Leselernprozess: . . . Wahrnehmung . . . Buchstaben . . . Leselernstufen

© Birgit Sommer, Autorin für Leseanfänger